Ich wurde Gott (192)

  Es kam ganz plötzlich. Vielleicht hatten beide die ersten Symptome einfach nicht bemerkt. Fred war so in seiner Erzählung versunken gewesen, dass er die ersten Schwächeanfälle hatte unterdrücken können. Doch mitten in der vernünftig klingenden Erzählung bäumte er sich dann auf. Einen Moment schlug er um sich. „Ihr kriegt mich nicht! Keiner! Ich hab das nicht gewollt! Ich bin nicht schuldig! Für euch nicht! Für euch bin ich Gott!“

Lujanns Linke drückte ihn zurück. Im nächsten Moment sah Fred der Frau mit völlig klarem Blick in die Augen. „Lujann? Ich schaff es nicht mehr! Ich hab´s vermasselt. Jemand muss mein Werk weiterführen. Es ist etwas Gutes. Ich … Nein, das war´s vielleicht schon. Immer habe ich Ich gesagt. Dabei geht es doch darum, dass die Gemeinschaft funktioniert. Bitte! Bitte versprich mir, dass du meinen Platz einnehmen wirst. Und such dir rechtzeitig eine Nachfolgerin für dich! Es ist alles ganz einfach. Ich geb dir den …“ Ein Hustanfall hinderte Fred am Weitersprechen. Lujann hielt ihn fest. Wartete.

Endlich hatte er sich beruhigt. „Hier, nimm diesen Stick! Richte ihn auf alle Punkte, hinter denen noch etwas Anderes sein könnte außer den Nachbarräumen. Ich versichere dir, überall da wirst du auch wirklich etwas finden. Du kannst mit der Hilfe des Sticks alle Funktionen aufrufen, die ich dir …“

Wieder ein Hustanfall. Lujann sah diesmal nicht hin. Wartete. Wie sie ihr ganzes bisheriges Leben gewartet hatte.

„Das Feuer … verdammt, wo sind wir? … Gegensteuern, wie … hätte ich doch nur jemanden geweckt … wie … ich komm nicht hoch … wir stürzen … kein Schwarzes Loch … ich … leben …“

Fred zuckte wie unter Stromstößen. Vergeblich versuchte Lujann ihn festzuhalten. Der Mann machte sich steif. Da … Lujann hätte nie damit gerechnet. Fred stand aufrecht auf der Lichtung. Seine Augen sahen direkt in die violett schimmernde Abendsonne. Sie schienen etwas zu sehen, was außer ihnen niemand je gesehen hatte. Oder vielleicht hatte es nur niemand erzählt. Fred erzählte es auch nicht mehr. Ein unnatürlich glücklicher Ausdruck lag in seinem Blick. Wie ein Baum, bei dem endlich der Keil ausreichte, ihn zu fällen, neigte er sich nach vorn. Lujann hatte sich schon damit abgefunden, einen steifen Körper fallen zu sehen, da brach er in sich zusammen.

~ von Admin - November 15, 2010.

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