Zum Warmlesen (5) SOZAC – Das Glück hat einen Namen

Die folgende Erzählung erschien 2009 in einem Sammelband mit utopischen Geschichten „Mein außerirdischer Liebhaber“ bei der dorante Edition:

Natürlich hatte sich Juliane ihrer Chefin offenbart. In deren Händen lag ja die einfache Lösung des Problems. Gehaltserhöhung plus höherer Dispokredit. So hatte Juliane gesprochen. Schallendes Gelächter geerntet. Sie arbeite, um sich Glückspillen leisten zu können. Aber sie fresse die Dinger ja, um arbeiten zu können. War das kein Teufelskreis? Aus dem sie, also die Twiggy, ihr, also der Juliane Machensen, heraushelfen müsse? Gekündigt zwinge keine Arbeit mehr zum Glücklichschlucken, dann sei die Ausgabe und damit die Sorge weg. So ähnlich hatte sich die Chefin ausgedrückt.

Juliane registrierte verwundert, wie zynisch ein Glückslächeln wirken konnte. Oder war Twiggy einfach immer zynisch und niemand bemerkte es, weil alle funktionierten?

Jetzt funktionierte Juliane nicht und merkte alles. Zuerst einmal die Schmerzen im Kopf. Es war, als blähte er sich zu Designersesselgröße auf. Jedenfalls erschien es ihr so. Ihrer Ex-Chefin hätte sie die Fingernägel ins Gesicht drücken mögen. Der einzige Mensch, zu dem sie noch Kontakt hatte, war Max. Der Junge hatte die Schulzeit fast hinter sich. Bei allen anderen zerbarsten ihre ersten Worte beim Blick in das allgegenwärtige freundlich unverbindliche, herabwürdigende Lächeln.

Sarkastisch sagte sich Juliane, dass sie mit dem Verlust ihrer Arbeit und der Droge tatsächlich gewonnen hatte. Längst konnte sie über längere Zeit keinen klaren Gedanken mehr verfolgen, ihre Hände zitterten, manchmal hatte sie Anfälle von Fresslust, sie stopfte in sich hinein, was ihr in die Finger kam, und dann suchten dieselben Finger hinter ihrem Gaumen nach den Wurzeln der Übelkeit. Juliane alterte.

Erst nach einem Zusammenstoß mit dem Sozialamt entstand das Bedürfnis sich zu wehren.

Zuerst nur gegen die Symptome des „Glücksentzugs“.

Sie beobachtete sich. Gegen den pochenden Kopfschmerz halfen Frischluftschocks. Parkläufe. Zeit hatte sie ja. Abends, beim Kampf um Bad- und Bettschwere, lief Max an ihrer Seite Max. Unterhielt sich mit ihr. Verliebt habe er sich. Sein Schwarm heiße Juliane wie sie und ahne nichts von seinem Glück.

Zum ersten Mal seit langem lachte Juliane Machensen befreit auf.

Handeln wollte sie. Gegen dieses SOZAC-Geschäft. Max bestärkte sie darin.

Juliane glaubte, ihr war ein Schaden zugefügt worden, das konnte ein Schadenersatzprozess beweisen. Mit dem erstrittenen Geld würde sie den ahnungslos Abhängigen helfen. Zum Beispiel.

Zuerst musste sie ihren Rechtsvertreter finden. Woher sollte eine Juliane Machensen wissen, welcher Anwalt gewillt und geeignet war, ihren Fall zum Erfolg zu treiben? Ihre Rechtsschutzversicherung hatte sie gekündigt.

Sie verfasste in Erwartung, bald unter Angeboten wählen können, ein Rundschreiben an 100 Kanzleien, schilderte, warum sie gegen wen vorgehen wollte. Nach ein paar Tagen lagen die ersten Antworten in ihrem Briefkasten.

„…nicht in unserem Spezialbereich. …danken Ihnen trotzdem für das uns entgegengebrachte Vertrauen…“

Zu Julianes Überraschung enthielten alle Briefe einen fast wortgetreu gleichen Text. Nach einer weiteren Woche schien sicher: Die Chance auf den angebotenen großen Happen lockte niemanden.

Bölder & Bölder hatten noch nicht geantwortet. Das war die Gelegenheit, persönlich nachzufragen, warum niemand an der Vertretung des Machensen-Rechts interessiert war.

Gegen 15 Uhr könne sie kommen. Bis dann, so erklärte die Sekretärin am anderen Ende der Leitung, wisse sie, wie weit der Fall „… wie bitte? … Machensen? …“ fortgeschritten sei.

Der Auftritt endete schneller als erwartet. Gleich beim Hereinkommen prallte Juliane auf das allzu vertraute unverbindliche Lächeln der Sekretärin. Warum sollte sich jemand den Ast absägen, auf dem er glücklich saß?

(Fortsetzung)

~ von Admin - Dezember 20, 2009.

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