zum Warmlesen: „SOZAC – Das Glück hat einen Namen“

Die folgende Erzählung erschien 2009 in einem Sammelband mit utopischen Geschichten „Mein außerirdischer Liebhaber“ bei der dorante Edition. Mit „Planet der Pondos“ hat sie allein den Autor gemeinsam:

SOZAC – Das Glück hat einen Namen

Eigentlich liebte Juliane ihr Auto. Allein das leise Summen im Hintergrund löste bereits viel von der Anspannung der stressvollen Arbeitstage. Falls etwas summte! An diesem Nachmittag passierte nichts. Das Handy zeigte auch keinen Empfang … Wenn schon etwas schief ging, dann kam es gleich ganz dicke.

Wenigstens war in der Nähe ein U-Bahnhof. Juliane entschied, dorthin zu laufen und sich von zu Hause aus um den Wagen kümmern.

Seit fünf Jahren war sie nur mit ihrem Auto gefahren. So suchte sie etwas unbeholfen einen Automaten, an dem sie einen Fahrschein hätte lösen können. Von eiligen anderen Passanten vorwärts gestoßen, löste sich das Problem von selbst: An einer Lichtschranke wurde das Entgelt direkt von ihrem Konto abgebucht.

Vor Juliane öffnete sich eine Gasse. Ein Pärchen visierte dort die Vorbeikommenden mit einem pistolenförmigen Gerät an, ohne dass jemand davon Notiz genommen hätte. Alle gingen lächelnd weiter. Wer sollte hier schon die Sicherheit stören?

Bei Juliane stieß das Gerät ein unangenehmes Fiepen aus. Plötzlich fühlte sie sich in eine Ecke gezogen. Ungerührt strömten die nächsten Passanten vorüber. Weil auch die beiden Sicherheitsleute durch sie hindurch lächelten, erstarb Julianes Hilferuf auf ihren Lippen.

Das gibt es also wirklich noch.“

Die Frau hatte eine angenehm warme Stimme. Juliane beruhigte sich wieder.

Seit gut einer Stunde läuft unser Prüfprogramm. Kein Fahrgast ist aufgefallen. Alle haben wenigstens probiert, glücklich zu werden. Ihnen dürfen wir die Gelegenheit anbieten, das Glück zu testen, kostenlos und ohne irgendeine Verpflichtung. Sozac ist genau das, was Sie brauchen.“

Juliane wollte eine ausweichende Antwort geben, um auf den Bahnsteig zu kommen.

Probieren Sie nur. Sie sehen abgespannt aus. Es wird Ihnen gut tun.“

Abgespannt fühlte sie sich tatsächlich. Und die beiden würde sie eh nicht los, ohne eine der angepriesenen Pillen abgenommen zu haben. Also streckte sie die rechte Hand aus und öffnete den Mund zum Dank. Schwupps, schon hatte die Frau Juliane eine Tablette auf die Zunge gelegt.

Ausspucken? Ein kameradschaftlicher Schulterklopfer, Juliane beugte sich vor, schloss den Mund und schluckte unwillkürlich runter. Im Aufrichten suchte sie eine abweisende Bemerkung. Dann sah sie ihnen in die Augen. Waren sie nicht nett?

Vielen Dank auch. Alles Gute! Ciao!“

Kommen Sie gut nach Hause!“

Juliane hüpfte die Treppe hinunter. Eine riesige Werbetafel empfing sie: „SOZAC – Das Glück hat einen Namen.“

Juliane lächelte.

Die nächste Bahn wurde mit fünf Minuten Verspätung angekündigt. Sonst hätte sich Juliane sicher über die weitere Verzögerung geärgert; nun sagte sie sich, die Bahn käme ja gleich. Entspannt betrat sie den überfüllten vorletzten Wagen. Lachend fiel sie später ihrem wartenden Sohn in die Arme. Der vergaß seine ganze Strafrede wegen der Verspätung, sobald sein erzürnter Blick auf die strahlenden Augen der Mutter traf. Zu Hause sangen die beiden nach der Hausaufgabenkontrolle eine Stunde lang Quatschlieder. Glücklich müde ließ sich Max ins Bett bringen. Nach dem Gute-Nacht-Kuss rief er: „Schön, dass es dich gibt, Mutti.“

Zum ersten Mal seit vielen Monaten schlief Juliane ohne zu grübeln ein. Sie schlief sogar durch.

Am nächsten Morgen wachte sie erfrischt auf. Nur ein merkwürdiges Pochen im Genick erinnerte an das alltägliche Grauen beim Aufstehen. Allerdings, während sie sonst mit jedem Handgriff besser in Fahrt kam, nahm diesmal das Pochen eher zu. Oder quietschte Max wirklich lauter als an den anderen Tagen?

Juliane hastete los. Sie gab ihr Kind ab, mahnte den Transportdienst an („Klar, wir bringen ihren Wagen heute Nachmittag. Direkt zum Firmeneingang“), war trotz U-Bahn fast pünktlich, ertrug das nervende Grinsen der Kollegen zur Begrüßung und wurde von einem Ordner auf ihrem Schreibtisch empfangen. Sie schlug ihn auf, wurde blass. Sie wagte nicht, die Summe noch einmal anzusehen. Sie hatte die Disposition freigegeben. Der Betrag war nie gedeckt und die Überweisung prompt als Storno zurückgekommen.

Twiggy, die Chefin mit dem Speckgürtel und der Puppenstimme, rief durch die Tür: „Frau Machensen, können Sie bitte mal kommen?“

Die Kollegen starrten demonstrativ auf ihre Terminals.

Ich glaube, Sie sind in letzter Zeit mit Ihrer Aufgabe überfordert … Ach, guten Morgen erst einmal.“ Twiggy lächelte. „Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen. Gute Fondsmanager gibt es überall. Natürlich hat jeder seine letzte Chance. Sogar Sie! Biegen Sie das …“ Twiggy deutete auf den Ordner „… wieder gerade. Dann vergessen wir die Sache.“

Juliane stürzte wortlos hinaus. Verprügeln hätte sie die Chefin können. Oder ihr eine kündigungsträchtige Entschuldigung ins Gesicht schmettern.

Beruhigen. Vor ihr die Akte. Sich überschlagende Gedanken. Lärm im Beraterraum. Althanns wird seinen Kunden doch nicht wirklich anbrüllen? Beruhigen…

Juliane, du bist dran!“

Verwirrt blickte sie zu Wolfgang hoch. Ja, richtig, heute war sie der Kantineninspekteur, der die Angebote zur Pausenversorgung begutachten sollte.

Ihre Augen tränten. Schon wieder wurde sie aus dem Takt gerissen. Hätte nur gefehlt, dass jetzt das Telefon … Da klingelte das Telefon.

Ist unser Auftrag immer noch nicht bearbeitet? Freuen Sie sich schon auf unsere Klage. Schadenersatz! Aber …“

Juliane schrieb den Namen Meierstein auf einen Abrisszettel und eilte, ohne weiter hinzuhören, zur Kantine hinunter. Was hatten die Kollegen aufgeschrieben? „Oh, nein, Bohnen mit B 321! Wenn Matthes die kriegt, rastet er aus. … Käsesalat? Und die Pampe als Soße?“

Matthes war schon seit Unzeiten nicht mehr „ausgerastet“.

Hastig griff Juliane einen konzentrierten Snack, fluchend drängte sie zur Kasse. Da sprang es ihr in die Augen: „SOZAC – Das Glück hat einen Namen.“

Die Erinnerung an das wohlige Gefühl des letzten Abends kämpfte kurz mit dem Pochen im Hinterkopf. Juliane war dran. „… und einmal SOZAC bitte.“

(Fortsetzung hier)

~ von Admin - Dezember 18, 2009.

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